Wer trägt das Risiko einer unbilligen Arbeitgeberweisung?
Sowohl das Bundesarbeitsgericht (im Folgenden: BAG) als auch zahlreiche Landesarbeitsgerichte (im Folgenden: LAG) haben sich zuletzt vermehrt mit der Frage auseinandergesetzt, ob einem Arbeitnehmer im Falle einer unbilligen Arbeitgeberweisung ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht.
Das BAG lehnt in seiner neueren Rechtsprechung ein solches Recht ab (BAG vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11) und verlagert das rechtliche sowie das wirtschaftliche Risiko einer unbilligen Arbeitgeberweisung auf den Arbeitnehmer. Dieser Rechtsauffassung haben sich auch zahlreiche Instanzgerichte angeschlossen und die Rechtsprechung des BAG bestätigt (z.B. LAG Köln vom 13.01.2014 – 2 Sa 614/13, LAG Rheinland-Pfalz vom 17.03.2014 – 3 Sa 535/13). Nun hat das LAG Hamm in seiner aktuellen Entscheidung (Urteil vom 17.03.2016 – 17 Sa 1661/15) ausdrücklich die herrschende Meinung in der Rechtsprechung abgelehnt und ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers anerkannt. Diese Auseinandersetzung in der Rechtsprechung nehmen wir zum Anlass, sowohl das einseitige Weisungsrecht als auch die Rechtsfolgen unbilliger Arbeitsanweisungen darzustellen.
Weisungsrecht
Soweit der Inhalt der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistung arbeitsvertraglich nicht bestimmt ist, besteht gemäß § 106 Gewerbeordnung (im Folgenden: GewO) das Recht des Arbeitgebers zur Vornahme der einseitigen Leistungsbestimmung. Demnach ist dieser berechtigt, die Leistungspflicht des Mitarbeiters nach Art, Zeit und Ort einseitig festzulegen. Da in den allermeisten Arbeitsverträgen der Leistungsinhalt des Arbeitnehmers nur rahmenmäßig umschrieben ist und der Arbeitgeber tagtäglich den Inhalt der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistung durch Erteilung von Arbeitsanweisungen festlegen muss, um die Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag zu konkretisieren, kommt dieser gesetzlichen Vorgabe eine herausragende Bedeutung zu.
Das grundsätzlich sehr weite Weisungsrecht des Arbeitgebers wird in § 106 GewO insoweit eingeschränkt, als einseitige Arbeitsanweisungen zwingend „billigem Ermessen“ entsprechen müssen. Die Wahrung des auch in § 315 BGB geregelten billigen Ermessens setzt wiederum voraus, dass die wesentlichen Umstände des Einzelfalles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt wurden. Damit ist der Arbeitgeber verpflichtet, neben seinen eigenen auch die Interessen des Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen.
Verstoß gegen billiges Ermessen
Nicht selten kommt es jedoch vor, dass Arbeitgeber bei Erteilung von Arbeitsanweisungen die Grenzen des oben geschilderten billigen Ermessens überschreiten. In einem solchen Fall stellt sich für den Arbeitnehmer die Frage, ob er dieser unbilligen Arbeitsanweisung nachkommen muss oder ob er die Erbringung der Arbeitsleistung insoweit verweigern darf, ohne seinen Vergütungsanspruch zu verlieren.
Nach neuerer Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, der sich zahlreiche Instanzgerichte angeschlossen haben (s.o.), steht dem Arbeitnehmer ein solches Leistungsverweigerungsrecht nicht zu. Demnach entfaltet auch eine unbillige Weisung des Arbeitgebers eine jedenfalls vorläufige Bindungswirkung für den Arbeitnehmer. Diese Bindungswirkung kann erst mithilfe eines rechtskräftigen Urteils – und damit nach einer u.U. mehrjährigen Auseinandersetzung – aufgehoben werden. Begründet wird diese Rechtsansicht im Wesentlichen mit der Vorgabe in § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach unbillige Arbeitsanweisungen von Arbeitsgerichten überprüft werden können bzw. müssen. Überdies wird – nach herrschender Auffassung der Rechtsprechung – das Arbeitsverhältnis durch die Weisungsgebundenheit erheblich geprägt. Auch aus diesem Grund darf ein Arbeitnehmer bei „bloß“ unbilligen Arbeitsanweisungen die Arbeitsleistung nicht ohne eine vorherige gerichtliche Auseinandersetzung verweigern.
Damit gilt nach dieser herrschenden Auffassung der Grundsatz „dulde und liquidiere“. Dieser führt zu folgendem Ergebnis: Der Arbeitnehmer darf sich nicht über eine unbillige Weisung hinwegsetzen, sondern muss hiergegen gerichtlich vorgehen. Erst nach einer rechtskräftigen Feststellung der Unbilligkeit der Arbeitsanweisung darf die Arbeitsleistung verweigert werden. Kommt der Arbeitnehmer hingegen ohne eine rechtskräftige Feststellung der Arbeitsanweisung nicht nach, darf der Arbeitgeber ihm insoweit die Vergütung grundsätzlich auch dann verweigern, wenn nachträglich die Unbilligkeit der Arbeitsanweisung festgestellt wird.
Ausblick
Diese Rechtsprechung des BAG hat sich in den letzten Jahren – trotz zahlreicher Gegenstimmen in der Literatur – verfestigt. Nun hat das LAG Hamm mit dem Urteil vom 17.03.2016 ausdrücklich dem BAG widersprochen. Das Gericht geht in seinem Urteil davon aus, dass im Falle einer unbilligen Arbeitgeberweisung der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung verweigern darf und trotzdem seinen Vergütungsanspruch nicht verliert (Annahmeverzug). Damit wird das Risiko einer unbilligen Arbeitgeberweisung vom Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber verlagert.
Gegen das Urteil des LAG Hamm wurde beim BAG Revision eingelegt (Aktenzeichen: 10 AZR 330/16). Damit müssen sich die Richter beim Bundesarbeitsgericht erneut mit der Frage des – jedenfalls in der Literatur viel kritisierten – fehlenden Leistungsverweigerungsrechts im Falle einer unbilligen Arbeitsweisung auseinandersetzen. Ob das höchste deutsche Arbeitsgericht sich von der Argumentation aus Hamm überzeugen lässt und seine Auffassung nach nur vier Jahren aufgibt, bleibt fraglich.