Versäumte Ausschlussfrist – ein Hoffnungsschimmer!
Fast alle Arbeitsverträge enthalten in der Praxis Ausschlussfristen. Ausschlussfristen sind Fristen, innerhalb derer ein Anspruch gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht (1. Stufe) und gegebenenfalls auch eingeklagt werden muss (2. Stufe), ansonsten verfallen die Ansprüche, bestehen also nicht mehr.
Jeder Arbeitnehmer und auch jeder anwaltliche Berater muss deshalb höchstes Augenmerk darauf legen, im Falle von nicht erfüllten Ansprüchen durch den Arbeitgeber den Lauf von Ausschlussfristen im Blick zu behalten. Eine etwaige Unaufmerksamkeit in dieser Hinsicht hat mit dem endgültigen Anspruchsverlust fatale Folgen.
Insbesondere laufende Vergleichsverhandlungen führen manchmal dazu, dass Arbeitnehmer davor zurückschrecken, ihre Ansprüche auch gerichtlich geltend zu machen. Oft vertrauen sie darauf, mit dem Arbeitgeber doch noch eine einvernehmliche Lösung zu finden, und wollen das Verhandlungsklima nicht gefährden.
Manchmal rächt sich dies. Enthält ihr Arbeitsvertrag eine 2-stufige Ausschlussfrist, fordert also auch eine fristgemäße gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs, und ist diese Frist mittlerweile abgelaufen, haben Arbeitgeber zuweilen wenig Bedenken, sich trotz der geführten Vergleichsverhandlungen auf den Ablauf der Ausschlussfrist zu berufen.
Bislang blieb als einziger Ausweg für den Arbeitnehmer, sich auf eine Treuwidrigkeit dieser Argumentation des Arbeitgebers zu berufen. Treuwidrigkeit ist aber ein absoluter Ausnahmefall und in einem Rechtsstreit selten ausreichend darzulegen und zu beweisen.
Das Bundesarbeitsgericht hat nun mit einem aktuellen Urteil vom 20.06.2018 (Az.: 5 AZR 262/17) in solchen Fällen für mehr Gerechtigkeit gesorgt.
Was war geschehen?
Der Kläger dieses Verfahrens hatte nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses von seinem (früheren) Arbeitgeber Urlaubsabgeltung und Überstundenvergütung verlangt. Der Arbeitgeber hatte dies abgelehnt, aber zugleich eine einvernehmliche Lösung in Aussicht gestellt. In der Folge wurde über die Ansprüche verhandelt, allerdings erfolglos. Nach dem Scheitern der Verhandlungen erhob der Kläger Klage. Das Problem: Sein Arbeitsvertrag enthielt eine 3-monatige Ausschlussfrist für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, und diese war mittlerweile abgelaufen. Der Arbeitgeber berief sich nun auf die abgelaufene Ausschlussfrist und verweigerte jegliche Zahlungen.
Sowohl in I. Instanz als auch in II. Instanz unterlag der Kläger, da er seine Ansprüche nicht fristgerecht eingeklagt habe. Sie seien deshalb untergegangen. Die laufenden Vergleichsverhandlungen hätten daran nichts geändert.
Das Bundesarbeitsgericht hat dies anders gesehen. Bei einer 2-stufigen Ausschlussfrist, die auch für die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs eine bestimmte Frist vorsehe, sei die Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt, solange die Parteien außergerichtlich in Vergleichsverhandlungen stehen. Der Zeitraum der Vergleichsverhandlungen werde entsprechend § 209 BGB in die Ausschlussfrist nicht eingerechnet. § 203 Satz 2 BGB, der bestimme, dass die Verjährung frühestens 3 Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, finde auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen hingegen keine entsprechende Anwendung.
Die Ansprüche des Klägers waren deshalb entgegen der Meinung der Vorinstanzen nicht verfallen. Der Rechtsstreit wurde aufgrund weiteren Aufklärungsbedarfs an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Mithin können in der Zukunft Ausschlussfristen, die noch nicht abgelaufen sind, während laufender Vergleichsverhandlungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht zum Verfall der Ansprüche führen. Erst nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen läuft die Ausschlussfrist weiter. Der verbleibende Zeitraum für die Klageerhebung kann dann natürlich unter Umständen äußerst kurz sein, weshalb hier wiederum allerhöchste Vorsicht geboten ist.
Es ist auch darauf hinzuweisen, dass jeder Arbeitnehmer und anwaltliche Berater gut daran tut, sich während laufender Vergleichsverhandlungen ausdrücklich von der Gegenpartei zusichern zu lassen, dass diese sich nicht auf die 2. Stufe der Ausschlussfrist beruft. Denn wann Vergleichsverhandlungen genau begonnen und wann sie geendet haben, kann im Einzelfall wiederum schwierig darzulegen und nachzuweisen sein.
Inwieweit die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch auf den Lauf der 1. Stufe einer Ausschlussfrist, die in der Regel dahingehend lautet, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist in Textform gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen sind, Anwendung findet, ist unklar. In der Praxis dürften Vergleichsverhandlungen oft ohnehin erst nach einer außergerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs in Textform beginnen, sodass hier von vornherein die Vergleichsverhandlungen nur den Lauf einer 2. Stufe der Ausschlussfrist für die gerichtliche Geltendmachung betreffen können. Denkbar ist allerdings, dass ein Anspruch vom Arbeitnehmer nur mündlich geltend gemacht und dann in Vergleichsverhandlungen eingetreten wird. In diesen Fällen kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu einer Hemmung der 1. Stufe der Ausschlussfrist für die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs gilt. Vielmehr muss gegebenenfalls trotz laufender Vergleichsverhandlungen der Anspruch nochmals ausdrücklich in Textform geltend gemacht oder die Gegenpartei zu einer expliziten Erklärung dahingehend aufgefordert werden, dass sich diese auf Ausschlussfristen nicht beruft.