Verfällt der gesetzliche Urlaub bei Krankheit nach 15 Monaten auch bei unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach mit einer europarechtskonformen Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG befasst. Nach dieser Norm muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres findet grundsätzlich nur statt, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Zwei der wichtigsten Entscheidungen BAG waren diese beiden:
1. Ohne Aufforderung des Arbeitgebers kein Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs
Erlischt der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch eines Arbeitnehmers am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums auch dann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat? Ja, urteilte das BAG im Jahr 2019, aber mit der wichtigen Differenzierung, dass dies nur dann gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann (BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16). Damit folgte das BAG einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 6. November 2018 (- C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]).
2. Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs bei Langzeiterkrankung nach 15 Monaten
Außerdem legt das BAG die Norm des § 7 Abs. 3 BUrlG seit einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 (BAG, Urt. v. 7. 8. 2012 – 9 AZR 353/10) so aus, dass gesetzliche Urlaubsansprüche für den Fall, dass der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung durchgehend gehindert war, erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen. Auch insoweit schloss sich das BAG einer Entscheidung auf europäischer Ebene an, nämlich der des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. November 2011 (Az.: C-214/10 – [KHS]).
3. Aktuelle Streitfrage: Aufforderung des Arbeitgebers auch bei Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers?
Zuletzt nun hatte sich der Neunte Senat das BAG (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2020 – 9 AZR 401/19) mit einer Mischform dieser beiden Grundsatzfragen auseinanderzusetzen, nämlich mit der Frage, ob gesetzliche Urlaubsansprüche eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers auch dann 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen, wenn er zuvor nicht von seinem Arbeitgeber konkret zur Beantragung des Urlaubs aufgefordert und darauf hingewiesen wurde, dass der Urlaub sonst verfallen wird. In dem beim BAG anhängigen Fall wollte die Klägerin noch nach dem 31.03.2019 Resturlaub aus dem Jahr 2017 nehmen. In dem Zwischenzeitraum war sie erkrankt. Während der Arbeitgeber der Auffassung war, dass der Urlaubsanspruch mit Ende März 2019 verfallen sei, berief sich die Klägerin darauf, dass der Arbeitgeber sie weder aufgefordert habe, ihren Urlaub zu nehmen, noch habe er darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann.
Die Vorinstanzen haben dem Arbeitgeber Recht gegeben und die Klage abgewiesen. Das LAG Hamm argumentierte insbesondere damit, dass ein etwaiger Hinweis des Arbeitgebers auf den drohenden Verfall bestehender Urlaubsansprüche bei Nichtinanspruchnahme bis zum Ende des Urlaubsjahres aufgrund der über das Urlaubsjahresende hinweg dauernden Langzeiterkrankung schlicht falsch gewesen wäre und daher erst gar nicht hätte erteilt werden können (LAG Hamm, Urteil vom 24.7.2019 – 5 Sa 676/19).
Es wird abzuwarten sein, ob sich das BAG dieser Auffassung anschließt, da es zur Klärung dieser Frage ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet hat. Der EuGH hat nun zu entschieden, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf dieser 15-Monatsfrist oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.
Wir halten Sie natürlich auch hierzu auf dem Laufenden.
(Quelle: Bundesarbeitsgericht – Pressemitteilung Nr. 20/20)