Rechtfertigt ein Datenschutzverstoß am Arbeitsplatz die außerordentliche fristlose Kündigung?
„Das Lesen einer offensichtlich an einen anderen Adressaten gerichtete E-Mail sowie das Kopieren und die Weitergabe des E-Mail-Anhangs (privater Chatverlauf) an Dritte kann im Einzelfall eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen, auch wenn eine Zugriffsberechtigung auf das E-Mail-Konto für dienstliche Tätigkeiten vorliegt.“
Dies entschied das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 02.11.2021 – 4 Sa 290/21.
Unbefugte Kenntnisnahme und Weitergabe von privaten E-Mails des Vorgesetzten
E-Mail-Nutzung am Arbeitsplatz ist in den Alltag der meisten Mitarbeitenden integriert und kaum mehr wegzudenken. Oft landen nicht nur geschäftliche E-Mails im dienstlichen Postfach der Mitarbeitenden, sondern auch private E-Mails. Ähnlich auch im Streitfall, den das LAG Köln zu entscheiden hatte.
Die Klägerin war bei einer evangelischen Kirchengemeinde seit 23 Jahren als Küsterin und in der Verwaltung, u.a. mit der Buchhaltung, beschäftigt. Für die Tätigkeit in der Verwaltung war die Klägerin berechtigt, auf den E-Mail-Account der Kirchengemeinde zuzugreifen. Mitte November 2019 las die Klägerin schließlich während ihrer Arbeit eine E-Mail, die den Pastor, ihren Vorgesetzten, auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebende Frau hinwies. Im E-Mail-Konto fand sie als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau, den sie auf einem USB-Stick speicherte, zudem ausdruckte, kopierte und eine Woche später anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde weiterleitete. Die Klägerin gab an, sie habe die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern wollen. Insbesondere stellte sie sich auf den Standpunkt, mit der Weitergabe der Dateien sei sie ihrer staatsbürgerlichen Pflicht und der Verpflichtung als Gemeindemitglied nachgekommen. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Die Kirchengemeinde begründete die Kündigung u.a. damit, dass das Vertrauensverhältnis im Arbeitsverhältnis zerstört sei, da die Klägerin sich an eine Dritte gewandt habe. Somit habe sie auch schwerwiegend gegen ihre Verschwiegenheitspflicht bezüglich dienstlicher Vorgänge verstoßen.
Das Arbeitsgericht Aachen gab in erster Instanz der Kündigungsschutzklage statt. Das Gericht sah in dem Verhalten der Klägerin zwar einen an sich wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung, hielt diese jedoch aufgrund des langen und bisher unbelastet verlaufenen Arbeitsverhältnisses und mangels Wiederholungsgefahr für unverhältnismäßig. Dagegen legte die Kirchengemeinde Berufung ein.
LAG Köln: Vorliegen eines wichtigen Grundes „an sich“ sowie „im Einzelfall“ zu bejahen
Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Köln hatte Erfolg. Nach Feststellung der 4. Kammer des LAG Köln lag ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor, der den Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung rechtfertige.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, hat nach ständiger Rechtsprechung des BAG in zwei Stufen zu erfolgen: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt „an sich“, d.h. generell ohne Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.
Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat, d.h. in der Regel der Arbeitgeber.
LAG Köln: Weitergabe von privaten Daten kann wichtigen Grund „an sich“ darstellen
Nach Auffassung der Kölner Richter kann die rechtswidrige Datenverarbeitung des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa von Arbeitskollegen einhergeht, dazu geeignet sein, bei entsprechender Schwere des Verstoßes „an sich“ einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung auszumachen, auch wenn die in Rede stehenden Daten nicht dem Schutzbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen unterliegen.
Zwar war die Klägerin berechtigt, auf den dienstlichen E-Mail-Account der Kirchengemeinde zuzugreifen, allerdings war dieser Zugriff beschränkt auf den zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendigen Umfang. Dies ergebe sich aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gemäß § 241 BGB und aus § 26 Abs. 1 BDSG.
Soweit die Klägerin, die an ihren Vorgesetzten adressierten E-Mails und seine privaten E-Mail-Anhänge geöffnet hat, hat sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht ihres Vorgesetzten, hier in Form des Rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme verletzt. Bereits das Öffnen und Lesen der privaten E-Mails begründen einen Pflichtenverstoß der Klägerin, völlig unabhängig davon, ob diese gezielt gesucht oder zufällig entdeckt wurden.
Zudem stelle auch das Ausdrucken und Kopieren der E-Mail samt Anhang nach dem Urteil des LAG Köln einen weiteren erheblichen Pflichtenverstoß dar.
Auch wenn das bloße das Lesen der E-Mail mit privatem Inhalt, möglicherweise als solches „an sich“ nicht geeignet sein mag, einen wichtigen Grund darzustellen – auch unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Zugriffserlaubnis auf den E-Mail-Account der Kirchengemeinde –, habe die Klägerin durch das Ausdrucken und das Kopierern ihre Berechtigung erheblich überschritten. Das Lesen von E-Mails könne „versehentlich“ erfolgen, Ausdrucken und Kopieren hingegen müssen bewusst erfolgen.
Durch die Weitergabe der rechtswidrig erlangten Daten an Dritte hat die Klägerin den vorherigen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflicht vertieft, das allgemeine Persönlichkeitsrecht Ihres Vorgesetzten und der im Kirchenasyl lebenden Frau verletzt und einen weiteren Verstoß durch eine rechtswidrige Datenverarbeitung – nämlich durch das Verbreiten – begangen.
LAG Köln: Vertrauensverhältnis für die weitere Zusammenarbeit unwiederbringlich zerstört
Die 4. Kammer des LAG Köln sah das für die Aufgaben der Klägerin notwendige Vertrauensverhältnis als unwiederbringlich zerstört an. Eine Abmahnung sei daher nicht erforderlich gewesen. Die durchzuführende Interessenabwägung geht zulasten der Klägerin aus. In der unbefugten Kenntnisnahme und vor allem (physischen) Weitergabe fremder Daten liege auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dieser sei auch nicht durch die von der Klägerin vorgetragenen Beweggründe, die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern zu wollen, gerechtfertigt gewesen. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung überwiege das Lösungsinteresse der Gemeinde das Beschäftigungsinteresse der Klägerin deutlich. Selbst die erstmalige Hinnahme dieser Pflichtverletzung sei der Gemeinde nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen.
Hinweise für die Praxis: Fokus auf die Arbeitsvertragsgestaltung
Wie das Urteil des LAG Köln zeigt, empfiehlt sich sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer, nicht nur aus datenschutzrechtlicher, sondern auch aus arbeitsrechtlicher Sicht, die strikte Trennung zwischen privater und dienstlicher E-Mail-Kommunikation. Wir empfehlen daher bereits bei der arbeitsvertraglichen Gestaltung den Fokus auf die Regelung zum „ob und wie“ der Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln zu legen.
Melanie Maier, Fachanwältin für Arbeitsrecht