Gesetzliche Kündigungsfrist versus vertragliche Kündigungsfrist – was ist "günstiger"?
In der betrieblichen Praxis finden sich häufig individualvertraglich vereinbarte Kündigungsregelungen, welche inhaltlich von den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB abweichen. Einzelvertraglich sind die gesetzlich geregelten Kündigungsfristen zu Lasten des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht verkürzbar, verlängerte Kündigungsfristen hingegen nach § 622 Abs. 5 Satz 2 BGB grundsätzlich zulässig.
Bei einer vertraglichen Kombination von Kündigungsfrist und Kündigungstermin ist unter Umständen unklar, welches die längere Kündigungsfrist im Sinne des Gesetzes ist. Wird zum Beispiel eine Frist von 6 Wochen zum Quartalsende vereinbart und gilt gesetzlich eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Ende eines Kalendermonats, hängt es vom Kündigungstermin ab, welche Frist länger ist. Wird die Kündigung im März ausgesprochen, so liefe eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende Ende Juni ab, eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende hingegen Ende Mai. Die längere Kündigungsfrist ist dann die vertragliche. Wird dagegen Anfang Februar gekündigt, läuft die sechswöchige Kündigungsfrist zum Quartalsende Ende März ab, die zweimonatige Kündigungsfrist zum Monatsende hingegen Ende April. Die längere Kündigungsfrist ist dann die gesetzliche.
Bislang war streitig, wie bei einer solchen Kollision von einzelvertraglicher und gesetzlicher Kündigungsfrist die für den Arbeitnehmer längere, also günstigere zu ermitteln war. Nur wenn dies die einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist ist, kann sie sich gegen die gesetzliche Kündigungsfrist durchsetzen.
Einigkeit bestand jedenfalls insoweit, als eine einzelvertragliche Regelung von Kündigungsfrist und Kündigungstermin regelmäßig als Einheit zu betrachten ist. Für den Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Regelung ist deshalb grundsätzlich ein Gesamtvergleich vorzunehmen. Dies hatte das Bundesarbeitsgericht bereits mit Urteil vom 04.07.2001 (Az.: 2 AZR 469/00) entschieden. Die Günstigkeit ist also nicht etwa für Kündigungsfrist und Kündigungstermin isoliert festzustellen.
Offen war jedoch, ob von einer für den Arbeitnehmer günstigeren Vertragsgestaltung bereits dann ausgegangen werden konnte, wenn die vertragliche Regelung sich für die längere Zeit des Kalenderjahres für den Arbeitnehmer als längere Kündigungsfrist darstellt und nur für eine geringere Anzahl an Kalendermonaten zu einer kürzeren Kündigungsfrist gegenüber der gesetzlichen Regelung führt. Wäre dies der Fall, wäre es möglich, dass – je nach Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung – die vertragliche Kündigungsfrist im konkreten Einzelfall hinter der gesetzlichen zurückbleibt.
Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht nun mit aktuellem Urteil vom 29.01.2015 (Az.: 2 AZR 280/14) entschieden. In diesem Fall ging es um den Vergleich der vertraglichen Kündigungsfrist „sechs Monate zum 30. Juni oder 31. Dezember des Jahres“ mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB. In dieser Konstellation gewährte die vertragliche Kündigungsfrist in acht von zwölf Monaten des Kalenderjahres dem Arbeitnehmer den besseren Schutz.
Dennoch hat das BAG entschieden, dass die vertragliche Kündigungsfrist nicht die für den Arbeitnehmer „günstigere“ ist. Eine vertragliche Kündigungsfrist könne sich gegen die maßgebliche gesetzliche Kündigungsfrist nur durchsetzen, wenn sie in jedem Fall zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Dass die vertragliche Regelung für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt, genügt nicht. Nach § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB müssten einzelvertragliche Kündigungsfristen eben „länger“ und nicht „meistens länger“ sein. Der Schutzzweck der gesetzlichen Kündigungsfristen würde nur unvollkommen verwirklicht, wenn die Anwendung einer einzelvertraglichen Kündigungsfrist im Einzelfall auch zu einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Frist führen könnte.
Damit setzen sich einzelvertragliche Kündigungsregelungen nur gegen die gesetzlichen Kündigungsfristen durch, wenn sie immer zu einer für den Arbeitnehmer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.
Folge der Nichtgeltung der vertraglichen Kündigungsfrist ist deren Ersetzung durch die gesetzliche Kündigungsfrist. In dem vom BAG entschiedenen Fall galt mithin eine Frist von 7 Monaten zum Monatsende. Folge ist hingegen nicht eine Kombination der längeren Kündigungsfrist (sieben Monate) mit einzelvertraglich vereinbarten günstigeren Kündigungsterminen („zum 30. Juni oder 31. Dezember des Jahres“). Dies steht im Einklang mit dem bereits bislang geltenden Grundsatz, dass Kündigungsfrist und Kündigungstermin eine Einheit bilden.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner aktuellen Entscheidung vom 29.01.2015 eine in der Praxis häufig auftretende Streitfrage geklärt. Offen ist allerdings noch, ob eine einheitliche, von der Dauer der Betriebszugehörigkeit unabhängige einzelvertragliche Kündigungsfrist so lange Anwendungsvorrang genießen kann, bis sie schließlich mit einer für den Arbeitnehmer günstigeren gesetzlichen Frist kollidiert. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage ausdrücklich nicht entschieden, allerdings eine klare Präferenz für einen solchen Anwendungsvorrang zu erkennen gegeben. In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war die vertragliche Kündigungsfrist („sechs Monate zum 30. Juni oder 31. Dezember des Jahres“) also nicht von Anfang an außer Acht zu lassen, sondern erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die einschlägige gesetzliche Kündigungsfrist (zumindest zum Teil) länger war.