Fallstricke im Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG
Während bei Massenentlassungen Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in der Regel in (zumindest rechtlich) geordneten Bahnen verlaufen, bestehen bezüglich des gleichfalls eminent wichtigen Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG erhebliche Unsicherheiten. Diese können sich fatal auswirken, wie ein aktuelles Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 10.08.2016 (Az.: 24 Sa 1763/15) zeigt.
Führt ein Arbeitgeber einen größeren Personalabbau durch, der die Grenze zur Massenentlassung gemäß § 17 Abs. 1 KSchG überschreitet, und besteht im Betrieb ein Betriebsrat, führt an dessen ordnungsgemäßer Beteiligung kein Weg vorbei. Dies bedeutet zum einen die Aufnahme von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen, zum anderen aber auch die Einleitung des Konsultationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 KSchG. In der Praxis erfährt letzteres häufig nicht die gebührende Aufmerksamkeit, sondern geht mehr oder weniger in den Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen unter. Dies kann sich bitter rächen.
Das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG ist in jüngster Zeit vermehrt Gegenstand höchst- und obergerichtlicher Entscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit. Sofern Arbeitgeber und Betriebsrat das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG ordnungsgemäß in die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen integrieren, sind nachfolgend ausgesprochene betriebsbedingte Kündigungen keinen zusätzlichen Rechtsrisiken ausgesetzt. Ist der Arbeitgeber diesbezüglich hingegen unachtsam, können die betriebsbedingten Kündigungen trotz vermeintlich ausreichender Beteiligung des Betriebsrates allesamt unwirksam sein.
Wie ist in der Praxis nun am zweckmäßigsten vorzugehen?
Das BAG hat mittlerweile zweifelsfrei klargestellt, dass der Arbeitgeber die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen aus § 111 Satz 1 BetrVG (Verhandlung eines Interessenausgleichs) gleichzeitig erfüllen kann, soweit diese Pflichten übereinstimmen. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen auch der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen (Urteil vom 26. 2. 2015, Az.: 2 AZR 955/13).
In vielen Fällen wird das Konsultationsverfahren im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen damit „abgearbeitet“, dass der Betriebsrat im Interessenausgleich bestätigt, gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG ordnungsgemäß unterrichtet worden zu sein, die erforderlichen Beratungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG durchgeführt wurden und der Betriebsrat abschließend keine Möglichkeiten sieht, die betriebsbedingten Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken. Eine solche abschließende Äußerung des Betriebsrats kann der Arbeitgeber dann gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG der Massenentlassungsanzeige beifügen, womit diese zumindest insoweit ordnungsgemäß erstattet wurde (BAG, Urteil vom 26.02.2015, Az.: 2 AZR 955/13).
Verweigert der Betriebsrat eine solche Stellungnahme oder ist die von ihm abgegebene Erklärung unzureichend, kann der Arbeitgeber vorsorglich gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG verfahren. Er kann zwei Wochen nach vollständiger Unterrichtung des Betriebsrats rechtssicher und rechtswirksam unter Darlegung der Stands der Beratungen Massenentlassungsanzeige erstatten (BAG, Urteil vom 26. 2. 2015, Az.: 2 AZR 955/13). Man muss allerdings wiederum ergänzen: Nur dann, wenn der Betriebsrat klar erkennen konnte, dass die Beratungen auch der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollten.
Zu betonen ist, dass die Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG (also die Pflicht zur Beratung mit dem Betriebsrat) und die Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit zwei getrennt durchzuführende Verfahren sind und sich aus jedem dieser beiden Verfahren ein eigenständiger Unwirksamkeitsgrund für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung ergeben kann (BAG, Urteil vom 20.01.2016, Az.: 6 AZR 601/14). Daraus folgt – zu Gunsten des Arbeitgebers – dass der Arbeitnehmer, der arbeitsgerichtlich in I. Instanz nur Mängel hinsichtlich des einen Verfahrens rügt, bei einem ordnungsgemäß gemäß § 6 KSchG erteilten Hinweis in II. Instanz mit Rügen von Mängeln hinsichtlich des anderen Verfahrens ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 20. 1. 2016, Az.: 6 AZR 601/14). Daraus folgt – zu Lasten des Arbeitgebers – aber erneut, dass der Arbeitgeber im Rahmen der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen auch zweifelsfrei gegenüber dem Betriebsrat zum Ausdruck bringen muss, dass die stattfindenden Beratungen auch der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen.
Genau dies war das Problem des Arbeitgebers in dem eingangs erwähnten Fall des LAG Berlin-Brandenburg. Da dieser Arbeitgeber die entsprechende Sorgfalt nicht beachtet hatte, war die Folge, dass die ausgesprochenen Massenentlassungen bei einer Betriebsstilllegung trotz zweier Sitzungen mit dem Betriebsrat und vier nachfolgender Sitzungen der Einigungsstelle unwirksam waren, weil die Beratungspflichten gegenüber dem Betriebsrat (nämlich die aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG folgenden) nicht ausreichend erfüllt waren.
In diesem Fall hatte der Arbeitgeber nämlich vor Einleitung der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen nicht klargestellt, auch seine Beratungspflichten im Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG erfüllen zu wollen. Er hatte schlicht die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen aufgenommen. Nachdem er die Interessenausgleichsverhandlungen in der Einigungsstelle für gescheitert erklärt hatte, unterrichtete er den Betriebsrat zwar noch gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG gesondert über die beabsichtigte Massenentlassung, gab diesem aber nicht mehr die Gelegenheit, über die Vermeidung oder Einschränkung der Entlassungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu beraten. Das LAG Berlin-Brandenburg ließ die zuvor geführten umfangreichen Verhandlungen mit dem Betriebsrat im Rahmen der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen einschließlich der Einigungsstellensitzungen entgegen der Ansicht des Arbeitgebers hierfür nicht genügen. Denn aus den diesbezüglichen Protokollen ergab sich nicht, dass diese Verhandlungen gerade mit dem Ziel geführt wurden, Entlassungen „zu vermeiden oder einzuschränken“. Vielmehr ging es im Wesentlichen darum, die sozialen Folgen der Massenentlassungen finanziell abzufedern.
Aus diesem Dilemma lässt sich nur die Schlussfolgerung ziehen, dass jeder Arbeitgeber dem Betriebsrat beim Einstieg in Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit der Übermittlung des Entwurfs eines Interessenausgleichs und Sozialplans zugleich unmissverständlich mitteilen muss, dass damit auch die Unterrichtungspflicht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG erfüllt werden soll und der Betriebsrat um die Aufnahme von Beratungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG gebeten wird.
Wie bereits ausgeführt: Die Verpflichtung zur Erstattung einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige und die Verpflichtung zur Durchführung des Konsultationsverfahrens sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige entlastet den Arbeitgeber also nicht von der ordnungsgemäßen Durchführung des Konsultationsverfahrens. Letztere ist dennoch notwendig; fehlt sie, sind alle Kündigungen unwirksam. Insofern stellt sich also die Frage, was der Arbeitgeber eigentlich genau leisten muss, um seine Beratungspflichten aus § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG gegenüber dem Betriebsrat zu erfüllen.
Hier gibt ein weiteres aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.09.2016 (Az.: 2 AZR 276/16) Aufschluss. Das BAG hat dort entschieden, der Arbeitgeber unterliege im Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG keinem Einigungszwang. Es sei ausreichend, wenn er mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und bereit ist, sich mit dessen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Auch eine bestimmte Mindestdauer für die Verhandlungen sei nicht vorgeschrieben. Insbesondere dürfe der Arbeitgeber den Konsultationsanspruch des Betriebsrats als erfüllt ansehen, wenn er den Betriebsrat zuvor vollständig unterrichtet habe und dieser keine Bereitschaft zu zielführenden Verhandlungen erkennen lasse.
In denjenigen Fällen, in welchen es nicht gelingt, dem Betriebsrat im Interessenausgleich eine Bestätigung „abzuringen“, wonach die Unterrichtung- und Konsultationspflichten gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 KSchG ordnungsgemäß erfüllt wurden, verbleibt also immer noch ein Wertungsspielraum, ob das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG ordnungsgemäß abgeschlossen wurde und deshalb die Massenentlassung umgesetzt werden kann. Dies ist in solchen Fällen sorgfältig zu prüfen. Zumindest sonstige formale Risiken aufgrund einer nicht ausreichenden Klarstellung gegenüber dem Betriebsrat, welche Beratungspflichten ihm gegenüber eigentlich erfüllt werden sollen, sollten aber in Zukunft rechtssicher ausgeschlossen werden können.