Die ersten Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes: Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters ohne vorherige Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam.
Das im vergangenen Jahr – auch in den Medien – viel diskutierte Bundesteilhabegesetz, welches die Rechte schwerbehinderter Menschen stärken soll, ist zum 01.01.2017 in seiner ersten Reformstufe in Kraft getreten.
Die wohl in arbeitsrechtlicher Hinsicht relevanteste Regelung dieser Stufe der Gesetzesnovelle ist in § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (neue Fassung) enthalten. Demnach ist die Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters, welche ohne eine vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erfolgt ist, unwirksam. Die Aufnahme einer solchen Rechtsfolge führt zu einer erheblichen Aufwertung der bereits zuvor bestehenden Beteiligungspflicht der Schwerbehindertenvertretung.
Im Einzelnen:
- Bildung der Schwerbehindertenvertretung, Aufgaben des Gremiums (insb. Anhörung vor Ausspruch einer Kündigung)
Vorab ist anzuführen, dass eine Schwerbehindertenvertretung gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX für sämtliche Betriebe und Dienststellen vorgesehen ist, welche wenigstens fünf schwerbehinderte Personen nicht nur vorübergehend beschäftigen.
Die Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung besteht im Wesentlichen darin, schwerbehinderten Mitarbeitern die Eingliederung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Dabei soll das Gremium insbesondere die Einhaltung der Vorschriften zu Gunsten der schwerbehinderten Menschen überwachen, Maßnahmen, die schwerbehinderten Menschen dienen, beantragen und Anregungen oder Beschwerden von schwerbehinderten Arbeitnehmern übermitteln bzw. auf eine Umsetzung von Anregungen hinwirken. Zur Erfüllung dieser Aufgaben stehen der Schwerbehindertenvertretung zahlreiche Rechte zu. Insbesondere hat das Gremium den Anspruch, in allen Angelegenheiten, die einen schwerbehinderten Menschen betreffen – und damit auch vor Ausspruch einer Kündigung – unverzüglich und umfassend unterrichtet und angehört zu werden, § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.
- Unterbliebene Anhörung bisher ohne spürbare Folgen für den Arbeitgeber
Eine derartige Beteiligungspflicht der Schwerbehindertenvertretung traf den Arbeitgeber bereits vor der Einführung des Bundesteilhabegesetzes. Jedoch blieb bis zum 01.01.2017 das Unterbleiben einer ordnungsgemäßen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung für den Arbeitgeber im Wesentlichen folgenlos. Denn für den Fall, dass die Vertretung nicht beteiligt wurde, konnte diese vom Arbeitgeber lediglich verlangen, die Beteiligung nachzuholen. Hingegen führte ein Verstoß gegen die Beteiligungsverpflichtung nicht zur Unwirksamkeit der bereits ausgesprochenen Kündigung, da die einschlägige gesetzliche Vorschrift diese Rechtsfolge nicht (ausdrücklich) vorsah (BAG vom 28.06.2007 – 6 AZR 750/06).
- Seit dem 01.01.2017 neue Rechtsfolge: Unwirksamkeit der Kündigung, wenn die Anhörung unterbleibt
Zum 01.01.2017 wurde die Gesetzeslage aus Arbeitgebersicht erheblich verschärft. Nun kann durch die Nachholung der Beteiligung der Verfahrensfehler nicht „geheilt“ werden. Vielmehr führt das Unterbleiben einer ordnungsgemäßen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung. Dadurch hat die Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung die gleiche Rechtsfolge wie die unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG.
- Ausgestaltung des Anhörungsverfahrens unklar
Somit wird nun die Rechtsfolge der unterbliebenen ordnungsgemäßen Beteiligung des Gremiums klar gesetzlich geregelt. Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Anhörungsverfahrens bleiben hingegen auch weiterhin zahlreiche Fragen ungeklärt, da die neu formulierte Vorschrift hierzu keine Vorgaben enthält. Insbesondere fehlen folgende Fristen- und Verfahrensregelungen:
- Wann hat die Anhörung spätestens zu erfolgen (vor, parallel oder nach Anhörung des Betriebsrats sowie der Beteiligung des Integrationsamts)?
- Welcher Zeitraum muss dem Gremium im Rahmen des Anhörungsverfahrens eingeräumt werden?
Zwar spricht vorliegend vieles dafür, auf die Vorgaben in § 102 BetrVG (analog) zurückzugreifen. Jedoch wird man hier die ersten Entscheidungen der Arbeitsgerichte abwarten müssen, die sich mit dieser Rechtsfrage auseinandersetzen und für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sorgen müssten.
- Keine Auswirkungen auf andere Anhörungs- und Beteiligungspflichten
Abschließend ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Kündigung einer schwerbehinderten Person zu beteiligen, sich nicht auf andere Anhörungs- und Beteiligungsverfahren auswirkt. Daher muss neben der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung auch der Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG angehört werden. Ferner ist auch die Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX einzuholen, bevor die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Mitarbeiter ausgesprochen wird.