Die Abfindung – Anspruch und Wirklichkeit
Nahezu jeder hat schon von Arbeitnehmern gehört, die aus Anlass der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten haben. Daher gibt es auch ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Arbeitnehmer im Zuge der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses stets eine Abfindung beanspruchen können. Dies ist jedoch mitnichten der Fall!
Zwar enden in der Tat die meisten Kündigungsschutzprozesse mit einem Vergleich, in dessen Rahmen sich die Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen die Zahlung einer Abfindung verständigen. Dass häufig solche Abfindungsvergleiche zustande kommen, beruht jedoch keineswegs auf der Durchsetzung entsprechender Rechtsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer, sondern ist vielmehr den Besonderheiten des Kündigungsschutzrechtes geschuldet.
Dieser Beitrag soll einerseits sichtbar machen, unter welchen Umständen es auch ohne einen durchsetzbaren Anspruch zu einer Abfindungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen kann und welche Kriterien in der Praxis für die Bemessung der Abfindungshöhe ausschlaggebend sind. Zudem wird nachfolgend erläutert, in welchen Fällen ausnahmsweise doch ein Rechtsanspruch auf die Zahlung einer Abfindung gegen den Arbeitgeber bestehen kann.
1. Der Regelfall – Kein Anspruch auf Abfindung bei Kündigung
Die in der arbeitsrechtlichen Praxis ohne Zweifel enorme praktische Bedeutung der Zahlung einer Abfindung steht in einem krassen Widerspruch dazu, dass ein Arbeitnehmer in aller Regel keinen gesetzlichen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung hat. Diese Diskrepanz ist in erster Linie damit zu erklären, dass das Kündigungsschutzrecht – vereinfacht formuliert – kein Abfindungsrecht, sondern ein Bestandsschutzrecht ist. Ein Arbeitnehmer kann in einem Kündigungsschutzprozess also regelmäßig nicht verlangen, dass ihm für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung gezahlt wird (zu den Ausnahmen s. u. unter 2.). Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sieht vielmehr vor, dass im Kündigungsschutzprozess um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gestritten wird.
Im Normalfall hat ein Arbeitnehmer also keinen Abfindungsanspruch. Wenn es dennoch zu einer Abfindungszahlung kommt, so kann dies darauf zurückzuführen sein, dass ein Arbeitgeber eine Abfindung anlässlich einer Trennung aus sozialen Erwägungen heraus anbietet. Zumeist bietet der Arbeitgeber eine Abfindung jedoch vor allem deshalb an, um damit ansonsten bestehende finanzielle Risiken zu vermeiden. Die Zahlung einer Abfindung stellt bildlich gesprochen den Preis für die rechtssichere Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem betroffenen Arbeitnehmer dar. Ohne einen Abfindungsvergleich droht dem Arbeitgeber die Führung eines – unter Umständen sehr langwierigen und aufwändigen – Kündigungsschutzprozesses und damit nicht nur das Risiko, den Arbeitnehmer im Falle des Unterliegens wieder beschäftigen zu müssen, sondern auch die seit Ablauf der Kündigungsfrist aufgelaufenen Löhne gegebenenfalls nachbezahlen zu müssen. Dies gilt zumindest für den Fall, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist und die Kündigung daher einer Begründung des Arbeitgebers bedarf. Der in diesem Fall drohende sog. „Annahmeverzugslohn“ kann sich im Einzelfall auf ein Jahresgehalt und mehr belaufen, was zeigt, warum die Zahlung einer Abfindung im ureigenen wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers liegen kann.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass zu einem Vergleich immer die Bereitschaft beider Parteien gehört. Weigert sich daher eine Partei partout, im Kündigungsschutzprozess einen Vergleich abzuschließen, so muss das Arbeitsgericht über die Wirksamkeit der Kündigung entscheiden. In diesem Fall heißt es für beide Parteien sprichwörtlich „Sekt oder Selters“.
Wenn nun aber über eine Abfindungszahlung verhandelt wird, von welcher Größenordnung müssen die Parteien dann ausgehen? An dem Vorgenannten erkennt man sehr schnell, dass die Bewertung der Risiken eines Kündigungsschutzprozesses zu den wichtigsten Faktoren gehört, die die Höhe einer Abfindungszahlung beeinflussen können. Denn je berechtigter das Vertrauen des Arbeitgebers ist, dass eine von ihm ausgesprochene Kündigung einer gerichtlichen Überprüfung standhält, desto geringer ausgeprägt ist zumeist seine Bereitschaft zur Zahlung einer Abfindung. Umgekehrt ist die Bereitschaft des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung umso größer, wenn die Kündigungsgründe eher wenig überzeugend erscheinen und ein Urteil des Arbeitsgerichts mit dem Inhalt droht, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Aus Sicht des Arbeitnehmers stellt sich schlicht die Frage, zu welchem Preis er sein Arbeitsverhältnis aufgibt. Auch für ihn spielen insoweit die Chancen, den Kündigungsschutzprozess erfolgreich zu bestehen, eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Aber auch die Aussichten, wann er mit dem Antritt einer neuen adäquaten Stelle rechnen kann, sind für den Arbeitnehmer von großer Bedeutung. Wer schon einen neuen Arbeitsvertrag in der Tasche hat, für den kann auch das Angebot einer verhältnismäßig geringen Abfindung durchaus lukrativ sein. Wer hingegen mit einer längeren Durststrecke rechnet, der benötigt meist einen entsprechend größeren finanziellen Puffer, um sich auf das Risiko einer längeren Arbeitslosigkeit einzulassen.
In der Praxis hat sich für die konkrete Berechnung einer Abfindung eingebürgert, dass als Bemessungsgrundlage einerseits das durchschnittliche Gehalt des Arbeitnehmers und andererseits seine beim Arbeitgeber absolvierte Betriebszugehörigkeit herangezogen werden. Die Arbeitsrichter bemühen bei einer (vorläufigen) Bewertung ausgeglichener Prozessaussichten häufig eine sog. „Faustformel“, nach der ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr zugrunde gelegt wird und schlagen den Parteien eine solche Einigung in einem ersten Gütetermin vor. Gerade als anwaltlicher Berater sollte man sich aber frei von dieser Betrachtungsweise machen, da sie regelmäßig den Besonderheiten des Einzelfalles nicht gerecht wird. Eine zielführende Bewertung, welche Abfindungshöhe als angemessen erscheint, kann letztlich nur nach genauer Betrachtung und rechtlicher Bewertung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erfolgen. Es können nur kleine Nuancen sein, die, wenn man sie erkennt, die eigene Position deutlich verschlechtern, aber auch deutlich verbessern können. Die richtige Einschätzung der eigenen Position spielt daher eine ebenso große Rolle wie das im Rahmen der Verhandlungen anzuwendende Verhandlungsgeschick. Diese Bewertung der rechtlichen Situation und deren Übertragung auf die konkreten Verhandlungen sind daher auch die Kernaufgaben eines im Arbeitsrecht tätigen Anwaltes, der seinen Mandanten, sei es Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, berät und im Rahmen der Verhandlungen vertritt. Dies gilt sowohl im Vorfeld einer Kündigung als auch im Verlaufe eines Kündigungsschutzprozesses.
2. Der Ausnahmefall – Mögliche Ansprüche auf Abfindung bei Kündigung
Es gibt aber auch Fälle, in denen ausnahmsweise ein Rechtsanspruch auf die Zahlung einer Abfindung durch den Arbeitgeber bestehen kann. Praxisrelevant sind insoweit folgende Konstellationen:
a) Anspruch auf Abfindung aus einem Sozialplan
In Unternehmen, die mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigen und in denen ein Betriebsrat existiert, muss bei größeren Umstrukturierungsmaßnahmen ein Sozialplan mit dem Betriebsrat verhandelt und vereinbart werden. Ein solcher Sozialplan sieht regelmäßig Abfindungsansprüche für Mitarbeiter vor, die wegen der Umstrukturierung ihren Arbeitsplatz verlieren. Sofern ein Mitarbeiter unter einen Sozialplan fällt und sein Arbeitsverhältnis anlässlich der konkreten Umstrukturierungsmaßnahme endet, kann er einen Sozialplanabfindungsanspruch geltend machen. Die Höhe der Abfindung richtet sich in diesem Fall nach dem Sozialplan selbst, der entsprechende Berechnungsformeln enthalten muss. Wichtig zum Verständnis ist, dass ein Sozialplananspruch keineswegs ausschließt, dass ein Arbeitnehmer gegen eine Kündigung nicht dennoch gerichtlich vorgehen könnte. In einem Kündigungsschutzprozess geht es dem Arbeitnehmer dann meist darum, dass er im Verhandlungswege eine Aufstockung seiner Sozialplanabfindung erreicht. Schließlich steht ihm die Sozialplanabfindung ja auch dann zu, wenn das Gericht die Kündigung als wirksam erachtet. Hierbei sollte sich der Arbeitnehmer aber bewusst sein, dass er unter Umständen einen echten Phyrrus-Sieg erringen könnte. Gewinnt der Arbeitnehmer nämlich den Kündigungsschutzprozess, behält er zwar seinen Arbeitsplatz. Dann entfällt aber natürlich auch der Sozialplanabfindungsanspruch, da der Arbeitgeber die Abfindung schließlich nur für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezahlen muss. Ein Arbeitnehmer, der sich gedanklich schon von seinem Arbeitsplatz und seinem Arbeitgeber verabschiedet hat und nur noch Interesse an einer möglichst hohen Abfindung hat, kann sich in einer solchen Situation im wahrsten Sinne auch „verzocken“. Derartige Szenarien müssen daher auch die beteiligten Anwälte in ihre Überlegungen und die Beratung ihrer Mandanten miteinbeziehen.
b) Anspruch auf Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung mit Abfindungsangebot
Sofern ein Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, kann er nach § 1a KSchG die Kündigung mit einem Abfindungsangebot verbinden. Der Arbeitgeber bietet in diesem Fall dem Arbeitnehmer an, dass er eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr erhält, wenn er auf die Erhebung einer Klage gegen die Kündigung verzichtet. Lässt der Arbeitnehmer im Fall eines solchen Angebots die Klagefrist von 3 Wochen verstreichen, erwirbt er mit Fristablauf einen Rechtsanspruch auf die angebotene Abfindung. Die im Rahmen der Hartz-Reformen zum 01.01.2004 eingeführte Regelung des § 1a KSchG sollte die Klageflut bei Kündigungen eindämmen, hat in der Praxis allerdings nur eine geringe Bedeutung erlangt.
c) Anspruch auf Abfindung bei erfolgreichem Auflösungsantrag nach unwirksamer Kündigung
Der dritte – noch als praxisrelevant zu bezeichnende – Fall eines möglichen Abfindungsanspruches ist die Konstellation eines sog. Auflösungsantrags. Hierbei handelt es sich um die Möglichkeit, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer für den Fall, dass das Arbeitsgericht eine arbeitgeberseitige Kündigung wegen ihrer fehlenden sozialen Rechtfertigung für unwirksam halten sollte, beantragen können, dass das Gericht das Arbeitsverhältnis (dennoch) gegen Zahlung einer Abfindung auflöst. Der Erfolg eines solchen Antrags ist allerdings an recht hohe Hürden geknüpft, da das geltende Recht – wie bereits erwähnt – grundsätzlich auf den Erhalt des Arbeitsverhältnisses und nicht auf dessen Auflösung gerichtet ist. Der Antrag kann einerseits dann gestellt werden, wenn „Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen“ (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Die Anforderungen an eine solche „Zerrüttung“ sind allerdings sehr hoch. Insbesondere genügt es nicht als Begründung, dass der Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen hat, die sich nicht als wirksam erwiesen hat. Ansonsten bedürfte der Auflösungsantrag letztlich gar keiner Begründung, da er ja nur für den Fall einer unwirksamen Kündigung gestellt werden kann. Eine solche Zerrüttung kann beispielsweise darin begründet sein, dass der Arbeitgeber wissentlich eine unbegründete Strafanzeige gegen den Arbeitnehmer erstattet oder der Arbeitnehmer den Arbeitgeber im Laufe des Prozesses wüst beschimpft hat. Sollte eine Zerrüttung nicht darstellbar sein, so kann der Arbeitgeber (nicht jedoch der Arbeitnehmer!) seinen Auflösungsantrag auch damit begründen, dass es sich bei dem Arbeitnehmer um einen leitenden Angestellten handelt. Denn das Kündigungsschutzgesetz billigt dem Arbeitgeber zu, dass er Mitarbeiter in leitender Position nicht gegen seinen Willen beschäftigen muss. Leitender Angestellter in diesem Sinne ist allerdings nur ein solcher Angestellter, der selbständig über Einstellungen oder Entlassungen von Arbeitnehmern entscheiden kann und hiervon auch in ausreichender Form Gebrauch macht (§ 14 Abs. 2 KSchG). In der Praxis sind nur sehr wenigen Angestellten derart weitgehende Rechte eingeräumt, weshalb so begründete Auflösungsanträge meistens daran scheitern, dass das Gericht die Auffassung des Arbeitgebers, es handele sich vorliegend um einen leitenden Angestellten, nicht zu teilen vermag. Sollte ein Arbeitsgericht einen Auflösungsantrag aber doch einmal für begründet halten, so beschließt es die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und spricht dem Arbeitnehmer hierfür eine Abfindung zu. Die Höhe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände und hat hierbei insbesondere die vom Gesetzgeber im KSchG vorgegebenen Höchstgrenzen zu beachten. Bei der Festsetzung orientieren sich die Gerichte außerdem häufig an der oben beschriebenen Faustformel, nach der zur Bemessung der Abfindung ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr zugrunde gelegt wird. In diesem Fall ist es die Aufgabe des Anwaltes, dem Gericht diejenigen Tatsachen mitzuteilen, die – aus Sicht der jeweiligen Mandantschaft – bei der Bemessung der Abfindung berücksichtigt werden müssen.
3. Fazit
Die Basis jeder Abfindungsforderung ist letztlich die Bewertung der Chancen und Risiken in der jeweiligen arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung. Um im Falle einer bevorstehenden oder gar schon ausgesprochenen Kündigung eine Abfindung zu erwirken, bedarf es daher auf Angestelltenseite in der Regel einer anwaltlichen Beratung und Vertretung. Gleiches gilt für die Arbeitgeberseite, die in der Regel das Interesse hat, den Begehrlichkeiten auf Zahlung einer Abfindung entgegenzutreten. Dass das Verhandeln über eine Abfindung häufig auch als Pokern bezeichnet wird, mag abschätzig klingen und wird sicher auch nicht immer der regelmäßig ernsten Situation gerecht. Der Vergleich ist aber insofern passend, als auch ein Pokerspieler unbedingt einschätzen können muss, ob er gute oder schlechte Karten in seinen Händen hält. Oder um es mit dem römischen Philosophen Seneca zu sagen: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.“