Bundesarbeitsgericht erschwert „Mitnahmeeffekte“ bei Kündigung
Die meisten Arbeitgeber kennen das Phänomen: Ein Mitarbeiter kündigt. Am nächsten Tag flattert eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in den Briefkasten. Dieser bedauerlicherweise weitverbreiteten Praxis hat das Bundesarbeitsgericht nun mit einem aktuellen Urteil vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21) zumindest teilweise einen Riegel vorgeschoben.
Was war passiert? Eine kaufmännische Angestellte kündigte ihr Arbeitsverhältnis mit der einschlägigen 14-tägigen Kündigungsfrist. Zudem erhielt die Arbeitgeberin von der Angestellten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellt am Tag der Übergabe des Kündigungsschreibens und genau für die Dauer der Kündigungsfrist. Das Unternehmen glaubte nachvollziehbarer Weise nicht an eine tatsächlich vorliegende Erkrankung und verweigerte die Entgeltfortzahlung.
Zu Recht, wie das Bundesarbeitsgericht entschied. Zunächst stellte das Bundesarbeitsgericht nochmals die ständige Rechtsprechung klar, wonach ein Arbeitnehmer grundsätzlich durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seine Erkrankung beweisen kann. Allerdings kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Die bislang hierfür in der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen bildeten allerdings die Erkrankung im nach Kündigung auslaufenden Arbeitsverhältnis nicht ab. Dies hat das Bundesarbeitsgericht nun geändert. Laut Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts ist eine in einem vom Arbeitnehmer gekündigten Arbeitsverhältnis erfolgte Erkrankung „insbesondere“ dann geeignet, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, wenn die Krankschreibung genau mit der Kündigungsfrist übereinstimmt. In der Praxis wird dies zwar so gut wie nie der Fall sein. Denn regelmäßig sind Kündigungsfristen länger als 14 Tage, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden hingegen zumeist längstens für 14 Tage ausgestellt. Dennoch besteht aus Arbeitgebersicht begründete Hoffnung, dem „Krankfeiern“ in der Kündigungsfrist zukünftig etwas entgegensetzen zu können. Denn aus dem Wort „insbesondere“ in der Pressemitteilung ist aus unserer Sicht zu schließen, dass das Bundesarbeitsgericht die Erschütterung des Beweiswertes nicht nur bei einer vollständigen Übereinstimmung zwischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Kündigungsfrist annehmen möchte. Insbesondere der Fall, dass ein Arbeitnehmer als direkte Reaktion auf eine Arbeitgeberkündigung erkrankt und dann (gegebenenfalls durch mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Arbeit nicht mehr antritt, dürfte dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall gleichzustellen sein. Dies ist der in der Praxis am häufigsten vorkommende Sachverhalt. Zwar könnte der Arbeitnehmer natürlich argumentieren, die Arbeitgeberkündigung habe bei ihm zu einer psychischen Erkrankung geführt. Allerdings lag auch dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall eine psychische Erkrankung zugrunde. Genaueres wird sich hierzu erst sagen lassen, wenn die vollständigen Entscheidungsgründe vorliegen.
Arbeitgeber sollten deshalb überlegen, bei Erkrankungen, die als Reaktion auf ausgesprochene Kündigungen erfolgen, zunächst die Entgeltfortzahlung einzustellen. Allein mit Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird der Arbeitnehmer dann unter Umständen einen von ihm angestrengten Prozess nicht gewinnen können. Er muss sich erheblich mehr „strecken“ und den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Bestätigt dann der behandelnde Arzt als Zeuge das Vorliegen einer Erkrankung, muss die Entgeltfortzahlung zwar geleistet werden. Nicht immer gelingt dem Arbeitnehmer aber der entsprechende Zeugenbeweis. Auch im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall gelang der Angestellten dies nicht, sie ging im Ergebnis also leer aus.