Sowohl der Vierte Senat als auch der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts haben in den letzten Wochen am 17. bzw. 18 Juni 2015 beschlossen, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwei wichtige rechtliche Fragestellungen, einmal im Bereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und zum anderen zum Recht des Betriebsübergangs nach § 613 a BGB, zur Entscheidung vorzulegen.
Diskriminierungsschutz auch bei Scheinbewerbung?
Im Verfahren vor dem Achten Senat des BAG (Az: 8 AZR 848/13 (A)) ging es um die Frage, wie sich eine vom Gericht festgestellte „Scheinbewerbung“ des Klägers auf den von ihm gegenüber einem Versicherungsunternehmen erhobenen Anspruch auf Entschädigung wegen Diskriminierung bei der Bewerbung auswirkt.
Kann ein Stellenbewerber, der sich offensichtlich nicht mit dem Ziel einer Einstellung auf eine Stelle beworben hat, überhaupt ein „Bewerber“ bzw. „Beschäftigter“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG sein? Würde man bei dieser Fallgestaltung ausschließlich deutsches Recht zugrunde legen, so wäre diese Frage nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts klar mit „Nein“ zu beantworten. Dies zumindest dann, wenn sich – wie im vorliegenden Verfahren – schon aus der Formulierung der Bewerbung selbst sowie dem weiteren Verhalten des Anspruchstellers im Bewerbungsprozess, z.B. durch die Ablehnung einer Einladung zum Gespräch mit dem Personalleiter, ergibt, dass dieser mit seiner Bewerbung gar keine Einstellung bezweckt hat, sondern allein den Status als „Bewerber“ im Sinne des AGG erreichen will, um bei einer Ablehnung der Bewerbung Entschädigungsansprüche geltend machen zu können.
Da die einschlägige EU-Richtlinie anders als das deutsche AGG jedoch nicht den Begriff des „Bewerbers“ verwendet, sondern allgemein den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“ schützt, hat das Bundesarbeitsgericht dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH wird nun darüber zu entscheiden haben, ob auch derjenige, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass er nicht eine Einstellung und Beschäftigung sucht, sondern nur die Voraussetzungen für eine Entschädigungsklage schaffen möchte, den Schutz der Richtlinie und damit zugleich des AGG genießt. Sollte der EuGH dies bejahen, so würde zukünftig allein das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügen, gleichgültig wie ernst diese Bewerbung gemeint ist. Damit würde sog. „Berufskläger“ und „AGG-Hoppern“ die Möglichkeit zur systematischen Klageerhebung eröffnet.
Dynamik einer Verweisungsklausel nach Betriebsübergang
Im einem weiteren Verfahren stellte sich der Vierte Senat des BAG (4 AZR 61/14 (A)) die Frage, ob die von ihm bisher vorgenommene Auslegung des § 613a BGB zur Wirkung einer Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag, die dynamisch auf einen beim Betriebsveräußerer geltenden Tarifvertrag verweist, noch mit dem Unionsrecht im Einklang steht. Unter Zugrundelegung nationalen Rechts geht der Vierte Senat bislang davon aus, dass der Erwerber eines Betriebsteils aufgrund von § 613a Abs. 1 S. 1 BGB an eine dynamische Verweisungsklausel vertraglich so gebunden ist, als habe er diese Vertragsabrede selbst mit dem Arbeitnehmer getroffen. Dies hat zur Folge, dass der Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang auch bei zukünftigen Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages, beispielsweise bei zukünftigen Lohnerhöhungen, automatisch an diese Regelungen des Tarifvertrages gebunden bleibt. Ob diese Auslegung unionsrechtlichen Vorschriften – insbesondere Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG und Art. 16 der GRCh – entgegensteht, soll nun der EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens klären.
Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH beabsichtigt das BAG offensichtlich, die durch eine Entscheidung des EuGH im Jahr 2013 in der (englischen) Rechtsache „Alemo-Herron“ aufgetretene Unsicherheit, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf das deutsche Recht hat, zu klären. In der Sache „Alemo-Herron“ hatte der EuGH entschieden, dass Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG es einem Mitgliedsstaat verwehre, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen (EuGH, Urteil vom 18.7.2013 – C-426/11).