Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen: Wann beginnt der Schutz?
Beim Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen stellt man sich immer wieder auch die Frage, wie man in rechtlicher Hinsicht den Zeitpunkt bestimmt, ab dem die Schwangerschaft und damit der Schutz beginnt.
Die gesetzliche Regelung zum Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen in § 17 Abs. 1 MuSchG bestimmt, dass die Kündigung gegenüber einer Frau unzulässig ist
(1.) während ihrer Schwangerschaft,
(2.) bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und
(3.) bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung.
Jahrelange Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hatte zuletzt in seinem Urteil vom 26.03.2015 (2 AZR 237/14) klargestellt, dass bei natürlicher Empfängnis der Beginn des Sonderkündigungsschutzes in der Weise bestimmt werde, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird. Dass BAG hat dabei erkannt, dass damit auch Tage einbezogen werden, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist. Das BAG verzichtete jedoch ganz bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Sonderkündigungsschutz in Anspruch nehmen kann. Es sei daher gerechtfertigt, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen.
Diese für die Arbeitnehmerinnen günstige Berechnungsmethode hatte in der Literatur immer wieder Kritik erfahren, da der Schutzzeitraum für die Arbeitnehmerinnen vom BAG in einer vom Normzweck nicht gebotenen Weise überdehnt werden.
LAG Baden Württemberg widersetzt sich der BAG-Rechtsprechung
Dieser Kritik hatte sich im Jahr 2021 das Arbeitsgericht Heilbronn und in der Berufung auch das LAG Baden-Württemberg angeschlossen. Abweichend von der ständigen Rechtsprechung des BAG hat das LAG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 01.12.2021 (Az: 4 Sa 32/21) eine Rückrechnung von nur 266 Tagen ab dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Entbindungstermin unterstellt und damit im zugrunde liegenden Fall den Sonderkündigungsschutz der Arbeitnehmerin verneint.
Rechtsunsicherheit für die Arbeitsvertragsparteien
Seit Bekanntwerden dieser Entscheidung des LAG Baden Württemberg bestand aufgrund der Differenz zwischen den beiden Berechnungsmethoden von immerhin 14 Tagen sowohl für schwangere Arbeitnehmerinnen als auch für Arbeitgeber eine erhebliche Rechtsunsicherheit, da beide Parteien sich ab diesem Zeitpunkt in Gerichtsverfahren auf die jeweils für sie günstigere Berechnungsmethode berufen haben (Arbeitgeber: 266 Tage, Arbeitnehmerinnen: 280 Tage).
Bundesarbeitsgericht beendet Rechtsunsicherheit mit Urteil vom 24.11.2022
Da BAG hat diese Rechtsunsicherheit nun im Revisionsverfahren beseitigt und mit Urteil vom 24.11.2022 die Entscheidung des LAG Baden Württemberg aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Aufgrund der Aufhebung der Entscheidung ist davon auszugehen, dass es bei der bisherigen Rechtsprechung des BAG verbleit und weiterhin bei der Rückrechnung von 280 Tagen vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin verbleibt. Die vollständige Entscheidung des BAG mit den Urteilsgründen liegt bislang jedoch noch nicht vor.
Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Entbindungstermins
Dem Arbeitgeber verbleibt dennoch weiterhin die Möglichkeit, den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Entbindungstermin zu erschüttern, indem er Umstände darlegt und beweist, aufgrund derer es wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft vor dem Kündigungszugang auszugehen. Dann obliegt es der Arbeitnehmerin einen weiteren Beweis zu führen und gegebenenfalls ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.
Auch hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass auch eine korrigierte Bescheinigung erstellt werden, wenn im Verlauf der Schwangerschaft genauere Erkenntnisse über den Zeitpunkt ihres Beginns gewonnen werden.