Darlegungs- und Beweislast im Prozess auf Überstundenvergütung
Verlangt ein Arbeitnehmer die Vergütung von geleisteten Überstunden, muss er vor Gericht zum einen darlegen und beweisen, dass seine geleistete Arbeit seine vertraglich geschuldete „Normalarbeitszeit“ überstiegen oder er sich über diese „Normalarbeitszeit“ hinaus auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereithalten musste. Zum anderen muss er darlegen und beweisen, dass diese Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst waren, der Arbeitgeber die erbrachten Überstunden also angeordnet, geduldet oder zumindest nachträglich gebilligt hat oder die aufgetragene Arbeit nicht in der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit zu bewältigen war. Diese Grundsätze wurden im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung entwickelt.
An diesen Grundsätzen ändern auch die unionsrechtlichen Vorgaben zur arbeitgeberseitigen Pflicht der Arbeitszeiterfassung nichts. Dies entschied nun das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 04.05.2022 (5 AZR 359/21).
Sachverhalt:
Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten, welche ein Einzelhandelsunternehmen betreibt, beschäftigt. Die Arbeitszeiten des Klägers wurden mittels eines technischen Zeiterfassungssystems aufgezeichnet, bei welchem jedoch nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten, erfasst wurden. Die Auswertungen des Zeiterfassungssystems ergaben zum Ende des Arbeitsverhältnisses sodann einen positiven Saldo von 348 Stunden. Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Vergütung von Überstunden in Höhe von 5.222,67 €. Dabei machte er geltend, dass er die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet habe und es ihm nicht möglich war Pausen zu nehmen, da er sonst die Auslieferungsaufträge nicht abarbeiten hätte können. Die Beklagte hat dies bestritten.
Nach den vom BAG entwickelten Grundsätzen wäre der Kläger mit dieser Klage erfolglos geblieben, da er keinen Beweis darüber führen konnte, dass er die behauptete Anzahl an Überstunden tatsächlich erbracht hat. Die bloße Behauptung keine Pausen gemacht zu haben, ohne dabei Genaueres vorzutragen, welche Arbeiten er in dieser Zeit erledigt haben will und inwiefern dies durch den Arbeitgeber veranlasst war, ist hierfür nicht ausreichend.
Und trotzdem: Erstinstanzlich wurde der Klage – unter Berufung auf unionsrechtliche Vorgaben – zunächst stattgegeben.
Urteil des Arbeitsgerichts Emden
Das Arbeitsgericht Emden (Urteil vom 09.11.2020 – Az. 2 Ca 399/18) vertrat die Auffassung, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 (Rs. C-55/18), welches besagt, dass die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zuverlässig und transparent zu erfassen, dazu führe, dass die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess zu Lasten der Arbeitgeber anzupassen seien und die in § 618 BGB normierte Fürsorge- und Schutzpflicht des Arbeitgebers auch im Rahmen eines Überstundenvergütungsprozesses entsprechend unionsrechtskonform auszulegen sei. Dementsprechend ergebe sich aus § 618 BGB die Pflicht des Arbeitgebers zur Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers. Sollte ein Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nachkommen, führe dies zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers. Das erstinstanzliche Gericht ging somit davon aus, dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast genüge, wenn er die Anzahl der erbrachten Überstunden vorträgt und die Klage damit schlüssig begründe. Positive Kenntnis des Arbeitgebers über die geleisteten Überstunden sei nicht mehr erforderlich, da sich der Arbeitgeber durch die Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems diese Kenntnis jederzeit verschaffen hätte können.
Diese Auffassung widersprach deutlich den Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.
Dabei blieb es jedoch nicht: In zweiter Instanz wurde die Klage – mit Ausnahme bereits von der Beklagten abgerechneter Überstunden – vom LAG Niedersachsen (Urteil vom 06.05.2021 – Az. 5 Sa 1292/20) abgewiesen.
Entscheidung des BAG:
Auch die anschließende Revision des Klägers blieb erfolglos.
Das BAG führte dabei aus, dass von den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast auch vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs nicht abzuweichen sei. Beachtung müsse hier insbesondere das sog. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung finden. Daraus ergibt sich, dass sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwar auf Fragen des Arbeitsschutzes hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer beziehen kann – wozu bspw. auch die Arbeitszeitgestaltung gehört (vgl. hierzu die europäische Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG) – nicht jedoch auf Aspekte der Vergütung.
Da es sich bei der Abgeltung von Überstunden jedoch nicht um eine Frage des Arbeitsschutzes handelt, sondern lediglich die Frage der Vergütung betrifft, können diese Bestimmungen keine Auswirkungen auf die nationalen Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess haben.
Es wurde daher in der Entscheidung des LAG und auch des BAG davon ausgegangen, dass der Kläger nicht hinreichend konkret dagelegen konnte, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungen abarbeiten zu können. Die bloße pauschale Behauptung, er habe keine Pausen gemacht, ohne genauer auf den zeitlichen Arbeitsaufwand einzugehen, genügt – wie oben bereits dargestellt – hierfür nicht.
Fazit:
Da das BAG nun entschieden hat, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung keine Auswirkungen auf die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess haben kann, bleibt insoweit alles beim Alten, was zumindest auf Arbeitgeberseite für Entspannung sorgen dürfte.
Jana Blancke, Rechtsanwältin