Risiko Scheinselbstständigkeit – nicht nur für vermeintliche Auftraggeber
Die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung sowie das Stichwort „Scheinselbstständigkeit“ ist seit den Urteilen des Bundessozialgerichts zur Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten in Krankenhäusern vom 04. Juni 2019 (z.B. Az. B 12 R 11/18 R) Dauerbrenner.
Wird rückwirkend festgestellt, dass es sich bei der vermeintlichen Selbstständigkeit um eine abhängige Beschäftigung handelt, kann dies in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht für den vermeintlichen Auftraggeber teuer werden. Dieser sieht sich i.d.R. mit Ansprüchen der Sozialversicherungsträger konfrontiert.
Daran anschließend stellt sich für den vermeintlichen Auftraggeber in arbeitsrechtlicher Hinsicht die Frage nach der Rückabwicklung des vermeintlich freien Dienstverhältnisses, schließlich lag das an den „Freelancer“ gezahlte Honorar häufig deutlich über dem Gehalt, welches dieser im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erhalten hätte.
Mit den Voraussetzungen der Rückabwicklung eines vermeintlich Freien Mitarbeiter-Rechtsverhältnisses hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2019, 5 AZR 178/18 beschäftigt.
Sachverhalt
Geklagt hat ein Arbeitgeber gegen einen früheren Mitarbeiter auf Lohnrückzahlung, nachdem dieser vermeintlich als freier Mitarbeiter, tatsächlich jedoch als Arbeitnehmer, zwischen 2001 und 2009 IT-Leistungen für den Arbeitgeber erbracht hatte. Der Arbeitgeber forderte gerichtlich von dem Mitarbeiter die Erstattung eines Teils der gezahlten Vergütung von über 110.000,00 € ein, da dem Mitarbeiter als Arbeitnehmer deutlich weniger Lohn zugestanden habe als im Rahmen der freien Mitarbeit.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG entschied zu Gunsten des klagenden Arbeitgebers, dass ein Arbeitgeber nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen könne, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters – in arbeitsrechtlicher Hinsicht – rückwirkend festgestellt werde. Mit dieser Feststellung stehe zugleich fest, dass der vermeintlich freie Mitarbeiter als Arbeitnehmer zu vergüten sei und ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestehe. In der Regel sei die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger, als die bereits geleisteten Honorarzahlungen im Rahmen des freien Dienstverhältnisses.
Indem das BAG nunmehr – entgegen seiner früheren Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 29.05.2002 – 5 AZR 680/00) – entschied, dass ein Rückzahlungsanspruch nicht zwingend voraussetze, dass bei dem Arbeitgeber unterschiedliche Vergütungsordnungen für freie Mitarbeiter und für Arbeitnehmer gelten, stellen die Erfurter Richter nunmehr geringere Anforderungen an den Rückzahlungsanspruch.
Vielmehr entschied das BAG, wenn es an solchen unterschiedlichen Vergütungsordnungen fehle, könne eine für freie Mitarbeiter ausdrücklich getroffene Vergütungsvereinbarung nicht ohne Weiteres auch im Arbeitsverhältnis als maßgeblich angesehen werden. Gebe es beim Arbeitgeber keine speziellen Vergütungsordnungen für freie Mitarbeiter und Arbeitnehmer, greife § 612 Abs. 2 BGB ein. Diese Vorschrift gilt für Fälle, in denen keine Vergütung vereinbart wurde, und ordnet an, dass „die übliche Vergütung“ als vereinbart anzusehen ist.
Eine Rückabwicklung sei jedoch nur dann möglich, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis vom tatsächlichen Arbeitnehmerstatus des Mitarbeiters habe (vgl. § 814 BGB), wobei an die Kenntnis des Arbeitgebers hohe Anforderungen zu stellen seien. Bloße Zweifel hinsichtlich der Einordnung des Rechtsverhältnisses als freies Dienstverhältnis schlössen nach der Entscheidung des BAG den Rückforderungsanspruch nicht aus.
Auch im Hinblick auf die Verjährung der Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers ist die Entscheidung des BAG interessant:
Das BAG geht im Ausgangspunkt davon aus, dass Ansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB unterliegen. Für den Beginn der regelmäßigen Verjährung komme es nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zwar grundsätzlich darauf an, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Etwas Anderes gelte jedoch, wenn und solange dem Gläubiger die Erhebung einer die Verjährung hemmenden Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) unzumutbar gewesen sei. In Fällen, in denen um die Rückzahlung überzahlter Honorar gestritten werde, könne – so das BAG – der Arbeitgeber die Überzahlung in der Regel erst im Zeitpunkt der rechtsbeständigen gerichtlichen Feststellung oder außergerichtlichen Klärung des Arbeitnehmerstatus erkennen. Erst ab diesem Zeitpunkt könne von ihm erwartet werden, dass er seine Ansprüche wegen Überzahlung geltend mache. Eine frühere Inanspruchnahme des Arbeitnehmers sei nicht zumutbar, weil vom Arbeitgeber ein widersprüchliches Verhalten verlangt würde.
Konsequenzen für die arbeitsrechtliche Praxis
Das vorliegende Urteil zeigt, dass die nachträgliche Behandlung des vermeintlich „Freien Mitarbeiter-Rechtsverhältnisses“ als Arbeitsverhältnis nicht nur für vermeintliche Auftraggeber, die u.a. mit der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeträgen rechnen müssen, sondern auch für Arbeitnehmer erhebliche finanzielle Konsequenzen haben kann. Daher sollte ein Arbeitgeber, um zumindest seinen wirtschaftlichen Schaden so gering als möglich zu halten, – bei nachträglicher Feststellung eines Arbeitsverhältnisses – prüfen, ob ihm seinerseits ein Rückforderungsanspruch in Höhe der Differenz zwischen dem Arbeitnehmerbruttogehalt zzgl. Arbeitgeberanteile am Gesamtversicherungsbeitrag und dem gezahlten Honorar gegen den Arbeitnehmer zusteht.