Unternehmen müssen Ausschlussfristen überprüfen! Ansprüche auf gesetzlichen Mindestlohn müssen explizit ausgenommen sein!
Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.2018 (Az.: 9 AZR 162/18) hat für Unternehmen erhebliche arbeitsrechtliche Folgen. Nahezu sämtliche Arbeitsvertragsmuster, die Unternehmen heutzutage verwenden, enthalten sogenannte Ausschlussfristen. Ausschlussfristen sind Fristen, innerhalb derer die Vertragsparteien offene Ansprüche geltend machen müssen, und die bei Fristablauf den Untergang dieser Ansprüche anordnen. Der Anwendungsbereich dieser Ausschlussfristen darf sich nicht auf Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn erstrecken, sonst sind sie unwirksam. Arbeitgeber müssen also ihre Arbeitsvertragsmuster daraufhin prüfen, ob diese den neuen Anforderungen der Rechtsprechung genügen.
Ausschlussfristen haben im Arbeitsrecht eine weitreichende Bedeutung. Sie dienen dazu, nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes Rechtsfrieden zwischen den Parteien zu schaffen. Jede Partei soll sich sicher sein können, dass die andere nicht nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes noch Ansprüche gegen sie geltend macht. Deshalb wird in Arbeitsverträgen häufig formuliert, dass jede Partei offene Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist (zumeist 3 Monate, da eine kürzere Frist rechtlich nicht möglich ist) geltend machen muss. Wird die Frist versäumt, geht der Anspruch unter. Er kann dann nicht mehr durchgesetzt werden.
Solcherlei Ausschlussfristen sind also völlig üblich und auch ohne Weiteres zulässig. Dies ist in Rechtsprechung und arbeitsrechtlicher Literatur einhellige Meinung.
Mit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes zum 01.01.2015 hat sich allerdings eine rechtliche Besonderheit ergeben, deren Folgen für Ausschlussfristen lange Zeit unklar war. Denn nach § 3 Satz 1 Mindestlohngesetz sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam. Fraglich war, ob dies nun auch zur Unwirksamkeit von Ausschlussfristen führt, die den Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich von ihrer Anwendbarkeit ausnehmen. Da das Mindestlohngesetz (wie ausgeführt) eine gesetzliche Neuregelung war und Ausschlussfristen schon seit Jahrzehnten im Arbeitsrecht verbreitet sind, sah nahezu keine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist eine explizite Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn vor. Festzustellen ist, dass auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes zum 01.01.2005 immer noch Ausschlussfristen vereinbart wurden und werden, die keine explizite Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn enthalten.
Um einen der letztgenannten Fälle ging es auch in der nun ergangenen aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Der dortige Arbeitgeber hatte mit dem Arbeitnehmer am 01.09.2015 (also nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes) einen Arbeitsvertrag geschlossen, in dem eine Ausschlussfrist enthalten war, die keine Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn enthielt, und die der Arbeitnehmer nun versäumt hatte. Dabei hatte der Arbeitnehmer gar nicht den gesetzlichen Mindestlohn eingeklagt, sondern die Zahlung von Urlaubsabgeltung. Der Arbeitgeber hatte sich aber darauf berufen, dieser Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei wegen der versäumten Ausschlussfrist untergegangen.
Dem ist das Bundesarbeitsgericht entgegengetreten. Das BAG hat entschieden, dass die vom Arbeitgeber verwendete Ausschlussfrist unwirksam ist, weil Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen waren. Sie verstoße gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion dahingehend, dass die Unwirksamkeit sich nur auf den zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn erstreckt, die Klausel hingegen für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden kann, sei nicht möglich. § 3 Satz 1 Mindestlohngesetz schränke weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 306 BGB aus.
Letzteres war in arbeitsgerichtlicher Instanzrechtsprechung und in der arbeitsrechtlichen Literatur lange umstritten. Zum Teil hatten Landesarbeitsgerichte und Autoren vertreten, aus der in § 3 Satz 1 Mindestlohngesetz enthaltenen Formulierung, wonach Vereinbarungen nur „insoweit“ unwirksam seien, wie sie die Rechte der Arbeitnehmer aus dem Mindestlohngesetz einschränken, folge eine Teilbarkeit einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist und damit eine geltungserhaltende Reduktion. Die Ausschlussfrist sei also nur insoweit unwirksam, als sie Ansprüche auf Geltendmachung des gesetzlichen Mindestlohnes verhindere. Alle anderen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffe die Unwirksamkeit nicht. Mit anderen Worten: Alle anderen Ansprüche müssen innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht werden, sonst gehen sie unter. Nur der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn kann noch außerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht werden.
Diese Rechtsauffassung hat das Bundesarbeitsgericht nun ausdrücklich abgelehnt. Damit war zu rechnen, nachdem das Bundesarbeitsgericht in einer branchenspezifischen Entscheidung zu Mindestentgelten nach der Pflegearbeitsverordnung bereits am 24.08.2016 entschieden hatte, dass Ausschlussfristen, die zwingende Mindestentgelte nach der Pflegearbeitsverordnung umfassen, insgesamt unwirksam sind. Die aktuelle Entscheidung des BAG vom 18.09.2018 ist also die konsequente Fortführung dieser Rechtsprechung.
Offen bleibt auch nach der aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts weiterhin, ob die Unwirksamkeitsfolge auch für solche Ausschlussfristen eintritt, die vor dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 01.01.2015 vereinbart wurden, und die keine Ausnahme für Ansprüche aus dem Mindestlohngesetz enthalten. Das Bundesarbeitsgericht hält dies aber offenbar zumindest für möglich. Insofern ist bei Unternehmen nunmehr größte Vorsicht geboten. Arbeitsvertragsmuster, die Ausschlussfristen ohne Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn enthalten, müssen angepasst werden. Bestehende Arbeitsverträge, die nach dem 01.01.2015 geschlossen wurden, und in denen Ausschlussfristen ohne explizite Ausnahme für den gesetzlichen Mindestlohn enthalten sind, müssen unbedingt erneuert werden. Aber auch Arbeitsverträge, die nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurden und die den Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn nicht explizit vom Anwendungsbereich einer Ausschlussfrist ausnehmen, sollten erneuert werden, wenn sich hierzu eine Gelegenheit ergibt. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Mitarbeiter eine neue Position übernimmt oder eine Gehaltserhöhung vereinbart wird. Als „Gegenleistung“ kann der Arbeitgeber versuchen, ein der aktuellen Rechtsprechung genügendes neues Arbeitsvertragsmuster durchzusetzen.