EuGH: Bezugnahmeklausel bleibt auch nach Betriebsübergang dynamisch
Mit einem aktuellen Urteil vom 27.04.2017 (Az.: C-680/15) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für Rechtssicherheit in der Frage der Wirkung sogenannter dynamischer Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang gesorgt.
Hintergrund:
Dynamische Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen sehen vor, dass sich die Arbeitsbedingungen nach den für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifverträgen „in ihrer jeweiligen Fassung“ richten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) galt diese Dynamik auch nach einem Betriebsübergang zu Lasten des Erwerbers fort. Dies führte in der Praxis insbesondere dazu, dass die Arbeitnehmer auch nach dem Zeitpunkt des Betriebsüberganges weiterhin in den Genuss von Tariferhöhungen aus den vor dem Betriebsübergang geltenden Tarifverträgen kamen. Der Umstand, dass der neue Arbeitgeber auf diese Tarifentwicklung keinen Einfluss nehmen konnte, war nach Ansicht des BAG unerheblich.
Seit dem Jahr 2013 war aufgrund einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alemo-Herron fraglich, ob diese Rechtsprechung nach wie vor europarechtskonform ist. Denn der EuGH hatte dort entschieden, dass eine Klausel, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt eines Betriebsübergangs verhandelte und abgeschlossene Tarifverträge verweise, gegenüber einem Betriebserwerber jedenfalls dann lediglich statisch wirkt, wenn der Erwerber keine Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese Tarifverträge teilzunehmen. „Statisch“ bedeutet in der Fassung, die die Tarifverträge zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs haben. Spätere Änderungen der Tarifverträge und somit insbesondere Tariferhöhungen haben keine Wirkung für das betroffene Arbeitsverhältnis mehr. Die Bedeutung dieser Entscheidung für die Rechtsprechung des BAG war seitdem unklar.
Aktuelle Entwicklung:
Der EuGH hat diese Rechtsfrage nun verbindlich entschieden, allerdings mit dem Ergebnis, dass gegen die ständige Rechtsprechung des BAG keine europarechtlichen Bedenken bestehen. Dynamische Bezugnahmeklauseln bleiben also auch nach einem Betriebsübergang dynamisch.
In dem entschiedenen Fall ging es um zwei Beschäftigte eines kommunalen Krankenhauses, deren Beschäftigungsverhältnisse durch Teilbetriebsübergang auf den privaten Klinikbetreiber Asklepios übergegangen waren. Asklepios gehörte keinem Arbeitgeberverband an und war deshalb an keinen Branchentarifvertrag gebunden. Die Beschäftigten hatten mit ihrem früheren kommunalen Arbeitgeber eine dynamische Verweisung auf die damals gültigen Tarifverträge vereinbart. Sie machten nun geltend, dass auch Asklepios an Tariferhöhungen aus diesen Tarifverträgen gebunden sei.
Der Generalanwalt beim EuGH, dem in den allermeisten Fällen der Gerichtshof auch folgt, hielt diese Rechtsansicht für nicht mit Unionsrecht vereinbar. Er vertrat die Auffassung, die Tarifverträge würden beim Betriebsübergang lediglich in der Fassung fortgelten, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs galt, also statisch. Damit schien es, als würde die Rechtsprechung des EuGH nun auch das Ende der dynamischen Bezugnahmeklausel beim Betriebsübergang im Sinne des Verständnisses des BAG bedeuten.
Überraschenderweise hat der EuGH jedoch anders entschieden. Auch der Erwerber sei an eine dynamische Bezugnahmeklausel gebunden, „sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht“. Diese Anpassungsmöglichkeiten müssen aber nicht in einer Einflussmöglichkeit auf die Tarifverträge bestehen. Der EuGH sah solche Anpassungsmöglichkeiten im bundesdeutschen Recht als gegeben an. Insbesondere ist hier an den Abschluss von Änderungsverträgen (auf welchen sich betroffene Arbeitnehmer allerdings oft nicht einlassen werden) und den Ausspruch von Änderungskündigungen (die allerdings in aller Regel den Vorgaben der Rechtsprechung nicht genügen werden) zu denken. Der EuGH hatte also im Ergebnis keine Zweifel an der Europarechtskonformität der ständigen Rechtsprechung des BAG.
Fazit:
Das von manchen bereits gesehene Ende dynamischer Bezugnahmeklauseln beim Betriebsübergang ist nicht eingetreten. Die von vielen als misslich empfundene Rechtslage, wonach ein Betriebserwerber auch nach dem Betriebsübergang Tariferhöhungen weitergeben muss, auf deren Zustandekommen er keinerlei Einfluss hat, bleibt bestehen. Die vom EuGH in rechtlicher Hinsicht als ausreichend angesehenen Anpassungsmöglichkeiten dürften in der Praxis des nationalen deutschen Rechts jedenfalls einseitig nicht umsetzbar sein. Betriebserwerber müssen also Kosten für Entgelterhöhungen aufgrund dynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang weiterhin einkalkulieren.