Deutsches Mitbestimmungsrecht laut Generalanwalt europarechtskonform
Das deutsche Mitbestimmungsrecht sieht vor, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer eines Konzerns bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat wahlberechtigt und wählbar sind. Nach Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof ist dies europarechtlich nicht zu beanstanden, wie aus seinem Schlussantrag in der Rechtssache C-566/15 hervorgeht.
Sachverhalt
In dem zu Grunde liegenden Verfahren wandte sich ein Aktionär der TUI AG gegen die Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Seiner Meinung nach verstoßen die Rechtsvorschriften des deutschen Mitbestimmungsrechts gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union sowie das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Er klagte beim Berliner Kammergericht, welches den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung bat.
Europarechtskonformität
Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof ist der Auffassung des Klägers nicht gefolgt. Seiner Auffassung nach verstößt das deutsche Mitbestimmungsrecht weder gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, noch liegt eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vor. Die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer des TUI-Konzerns fielen grundsätzlich nicht in den Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese schütze nur Arbeitnehmer, die von diesem Recht entweder tatsächlich Gebrauch machten, dies beabsichtigten oder bereits getan hätten, indem sie ihr Heimatland zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verließen. Dies treffe jedoch auf viele der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer des TUI-Konzerns nicht zu. Auch die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe, die zu einer anderen Konzerngesellschaft im Ausland wechseln möchten, seien nicht dadurch in ihrer Freizügigkeit beschränkt, dass sie ihr aktives oder passives Wahl recht verlören. Nach Ansicht des Generalanwalts wäre selbst dann, wenn eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vorläge, diese jedenfalls gerechtfertigt, da sie Ausdruck bestimmter den Mitgliedstaaten obliegender legitimer wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen sei. Die deutsche Mitbestimmungsregelung sei ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Arbeitsmarkts und der deutschen Sozialordnung. Eine Erweiterung der deutschen Regelung auf ausländische Arbeitnehmer würde voraussetzen, dass ihre grundlegenden Merkmale geändert werden müssten. Hierzu sei ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet.
Ausblick
Nachdem aufgrund dieses Verfahrens in der Presse zunächst befürchtet wurde, eine wesentliche Säule des deutschen Wirtschaftsmodells der Nachkriegszeit stehe auf dem Spiel, kann nun vorsichtige Entwarnung gegeben werden. Zwar ist der Europäische Gerichtshof an den Schlussantrag des Generalanwalts nicht gebunden. Faktisch folgt er jedoch in etwa ¾ aller Fälle dessen Vorschlägen.